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gedanken zum thema
der tod, mit dem wir uns im leben konfrontiert sehen, ist immer der tod eines anderen. der tod eines menschen ist für die hinterbliebenen ein einschneidendes erlebnis, verbunden mit einem verlust, der endgültig ist. nunmehr ist das verhältnis zum verstorbenen ein anderes und erinnerungen prägen gegenwart und zukunft.
dieser transformative akt wird unterstützt, wenn der zurückgebliebene die chance erhält, sich aktiv damit auseinanderzusetzen. durch die noch immer übliche tabuisierung des todes werden der trauer jedoch oft keine zeit und, im weitesten sinn keinen raum gegeben. stattdessen gilt es, eine „belastung“ schnell, sauber und effizient abzuwickeln. als eine art gegenmodell hat sich in den letzten jahren der trend entwickelt, den tod als event zu gestalten mit einer betont emotionalen und vermeintlich individuellen ritualisierung der trauerfeier. doch auch hier ist das gleiche abwicklungsschema hinterlegt, es ist nur „verträglicher“ verpackt. dem trauernden werden unterschiedlichste szenarien und eine atmosphäre der gemütlichkeit geboten, so als könnten allein sphärische klänge und bunte farben, plüsch und kerzen den schmerz erleichtern. was aber bleibt, wenn sich der trauernde nicht von den eigenen empfindungen ablenken lassen will, sondern die bewusste auseinandersetzung mit den geschehnissen sucht und auf das schmückende beiwerk verzichten will? wie präsentiert sich ein raum zur abschiednahme dann?

der ort
wie das ereignis des todes aus dem rahmen des alltäglichen fällt, so soll auch der ort der trauer sich architektonisch von der banalität, buntheit und lautstärke der umwelt unterscheiden.
der friedhof delstern in hagen ist ein solcher ort. er wurde 1883 als kommunaler friedhof angelegt und ist einer der ältesten in hagen. die anlage folgt dem damaligen zeitgeist, friedhöfe als wald- oder parkfriedhöfe an den rand der städte anzulegen und so ist delstern mit seiner hügeligen topografie ein besonderer ort. auch eine andere grundlegende wandlung im bestattungswesen, die einführung der feuerbestattung, wurde 1907 an diesem ort mit dem bau des eduard-müller-krematoriums, architekt peter behrens, manifestiert. doch erst 1911 erlaubte die gesetzeslage in preußen die feuerbestattungen und im september 1912 wurde die erste feuerbestattung im eduard-müller-krematorium durchgeführt.
das gestalterische vokabular für eine solche bauaufgabe war damals wie heute unbestimmt. peter behrens war sich der architektonischen und auch der gesellschaftlichen herausforderung, die damit verbunden waren, bewusst. in einem brief an seinen förderer karl-ernst osthaus schrieb er: „für die bearbeitung einer aufgabe, wie die vorliegende, (müssen) alle kräfte eingesetzt werden, damit auch in jeder hinsicht die anlage für später eine vorbildliche bleibt und somit auch die künstlerische lösung der aufgabe für die ganze bewegung einen schritt vorwärts bedeutet. [...] auf der anderen seite glaube ich, dass einer hohen idee nichts mehr schaden kann, als wenn sie in einem gewande auftritt, das sich von den alltäglichen hergebrachten nicht unterscheidet oder wenn hierbei wirkungen romantisch-spielerischer art, die mit dem ernste nicht im zusammenhang stehen, mitsprechen.“ (aus: „wir haben nicht so viele meister seiner kunst...“ von birgit schulte, in: „das krematorium von peter behrens in hagen“, s. 166, klartext – verlag essen, 2014).

nicht nur das krematorium, sondern auch der vorgelagerte erweiterungsbau mit den abschiedsräumen zeugt von einer architektur, die nicht dem alltäglichen folgt. es ist ein ort der ruhe und der würde. doch entsprechen die noch immer praktizierte aufbahrung hinter einer glasscheibe und damit die radikale trennung zwischen dem verstorbenen und den trauernden nicht mehr den heutigen bedürfnissen.

der raum
der abschiedsraum ist heute als ein ort zu sehen, der nicht allein für den verstorbenen, sondern auch für den hinterbliebenen ist. der abschiedsraum ist als ein raum zu sehen, der, ohne ein sakralraum zu sein, für den trauernden menschen zunächst ein ort sein muss, in dessen schutz ein erster schritt der trauerbewältigung gemacht werden kann.

die schwierigkeit für die würdevolle gestaltung des abschiedsraumes besteht also darin, dass einerseits der verstorbene im mittelpunkt der betrachtungen stehen muss, denn ihm gilt die aufmerksamkeit des trauernden, andererseits ist der hinterbliebene derjenige, der die raumatmosphäre erleben und wahrnehmen kann.
gerade in den momenten der trauer sind die emotionale anspannung und die empfindsamkeit besonders groß. es ist davon auszugehen, dass der raum insgesamt auf den besucher einwirkt, auch wenn die umgebung im detail nicht bewusst wahrgenommen wird. die gestaltung kann die intensität der gedanken und handlungen beeinflussen, nicht nur in diesem moment, sondern auch nachhaltig in der zeit des „sich erinnerns“.
diesem aspekt der erinnerung kommt zudem eine besondere bedeutung zu. die zahl der anonymen bestattungen wächst. damit entfällt das grab als ort der erinnerung. die abschiednahme am sarg oder an der urne wird um so wichtiger.
es gilt, eine angemessene atmosphäre für diesen abschiedsraum zu schaffen; eine atmosphäre, die kontemplativ und meditativ, und nicht spektakulär ausgerichtet ist; die subtil die sinne berührt, aber nicht rührselig ist; eine atmosphäre, die nichts im verborgenen lässt, aber auch nicht alles öffentlich macht; die neutral ist, aber nicht belanglos; die rituale zulässt und freies handeln erlaubt; eine atmosphäre, die sich respektvoll erweist gegenüber dem toten und dem lebenden.

die ausgangssituation und aufgabe
das gesamte gebäudeensemble des eduard-müller-krematoriums steht unter denkmalschutz. auch die innenausstattung ist in den denkmalschutz einbezogen. die aufgabe bestand also nicht allein in der neugestaltung eines abschiedsraumes unter berücksichtigung der nutzerbedürfnisse aus heutiger sicht. gleichzeitig durften auch ursprung und qualitäten der denkmalgeschützten substanz nicht negiert werden. ziel war es, aus neu und alt erneut ein stimmiges ganzes zu erreichen.
der bestand ist modern und funktional in einen betriebs- und einen besucherflur organisiert. über ein foyer erreicht der trauernde den besucherflur. die zehn bestehenden abschiedsräume sind entlang dieses flures in einem immer gleichen takt hintereinander geschaltet. eine türgroße festverglasung ermöglicht dem besucher nur den einblick in die schmale raumeinheit und damit einen direkten blick auf den sarg. auf der gegenüberliegenden seite, in der flucht des fensters, ist die stählerne tür zum betriebsflur zu sehen. die an den längswänden nachträglich angebrachten dekorationen betonen die schmalheit des raumes und lassen ihn, trotz der wandleuchten, dunkel wirken. im flur stehen einige stühle bereit. die atmosphäre und der umstand, dass zeitgleich auch andere trauernde zutritt in diesen bereich haben, lassen jedoch eine privatheit und ruhe fehlen.

die gestaltung
die grundlage für das architektonische konzept und die neugestaltung ist die idee, dem trauernden unterschiedliche arten der annäherung an den verstorbenen zu ermöglichen. als erstes gehören dazu die vergrößerung und das betreten der abschiedsräume. das wurde, ohne veränderung des bestehenden rasters, durch das entfernen einer zwischenwand erreicht. unter beibehaltung der taktung werden auch die fensteröffnungen umgestaltet und die festverglasungen entfernt. die akzentuierung der öffnungen durch die aufgesetzten putzrahmen bleibt erhalten. in diese rahmungen werden ca. 50 cm tiefe zargenrahmen aus massiver esche eingestellt. einer der zargenrahmen wird zum portal. eine zweiflügelige tür öffnet sich nach innen. der direkte zugang in den raum wurde geschaffen, ohne dass der blick unvermittelt auf den sarg fällt.
der andere rahmen erhält als reminiszenz an den bestand wieder eine festverglasung, die jedoch als nische in den raum ausgebildet ist und an der schmalseite durch ein blaues schmuckglas ergänzt wird. dieses fenster ist innenseitig durch ein verschiebbares lamellenelement aus weiß geölter esche vor direktem einblick geschützt, lässt aber über den natürlich belichteten besucherflur diffuses tages- und auch sonnenlicht in den abschiedsraum. es bleibt so der bezug zum außenraum bewahrt und ein gefühl des eingeschlossenseins kann nicht entstehen. flurseitig ist in die nische eine gepolsterte sitzbank integriert. durch die nischenbildung wird ein rückzugsort ermöglicht, von dem aus je nach öffnungsgrad des elementes auch der einblick in den raum gewährt werden kann. es wird ein wenig privatheit geschaffen, die es vorher in diesem flur nicht gab.
durch die art und weise wie der raum betreten wird, ist die schrittweise annäherung an den (auch offenen) sarg möglich. die großzügigkeit des neuen raumes lässt eine flexible aufstellung des sarges zu. unterschiedliche blickpunkte und unterschiedliche lichtverhältnisse empfangen den besucher.

der sarg steht seitlich in einem akzentuierten bereich. der wandbelag aus hellen kalksteinplatten bietet einen ruhigen hintergrund für die schmuckhaftigkeit von sarg und blumen. der boden ist mit dem gleichen naturstein, der fossile einschlüsse zeigt, belegt, und nimmt so den beigen farbkanon des bestandes auf.
die abgehängte decke ist mit unterschiedlichen höhen und strukturen plastisch ausformuliert und betont die zonierung des raumes. im stellbereich ist die decke hoch und es wiederholen sich die holzlamellen. die semitransparenz sorgt dafür, dass über die bestehenden oberlichter weiterhin diffuses licht in den raum fällt. auch wird so, zusammen mit den schattenfugen der vertikalen deckenelemente, die natürliche dauerbelüftung gewährleistet. zusätzlich schafft der kalkzementputz in verbindung mit der silikatfarbe ein bauphysikalisch gutes raumklima. in den wandputz eingelassene aluminiumprofile gliedern einfach und doch wirkungsvoll die hellen wandflächen. die profile dienen gleichzeitig der führung für die schiebeelemente an den längsseiten des raumes und akzentuieren nochmals die raumzonierung.
unterschiedliche lichtszenarien sind vom raum aus individuell steuerbar. immer ist es ein warmes sanftes licht, dass das natürliche licht verstärkt und für eine räumlich und optisch ruhige atmosphäre sorgt.

auf einem wandbord können persönliche gegenstände, blumen und bilder aufgestellt oder ein kondolenzbuch ausgelegt werden. unterschiedliche sitzgelegenheiten ermöglichen das wechseln der position im raum je nach befindlichkeit. an der stirnseite ist eine gepolsterte bank als statisches, eher distanziertes element angeordnet. mit den leichten, filigranen stühlen, aus dem bestand der 1950er-jahre, lässt sich die räumliche nähe zum toten individuell herstellen.

die neue gestaltung ist eindeutig in form, material und ästhetik als hinzugefügtes erkennbar und nimmt sich gleichzeitig gegenüber dem bestand zurück. die größe und die klarheit des raumes ermöglichen es, diesen auch als urnenfeierraum zu nutzen oder auch für eine kleine trauerfeier. die maßstäblichkeit im zusammenspiel mit gestaltung, materialität, farbgebung und licht prägt diesen raum architektonisch und verleiht ihm klarheit. die damit verbundene harmonie des ganzen ist spürbar und sorgt für eine helle und beruhigende atmosphäre, die den prozess der abschiednahme unterstützen kann.